Vom eigenen Oberschenkel lernen

Vom eigenen Oberschenkel lernen
29. Juli 2015 manuel

Roland kann ziemlich gut zeichnen. Das macht er als Teil einer Illustrationsagentur, in freien Arbeiten für Tageszeitungen und Magazine oder für die Ewigkeit: Seit einiger Zeit tätowiert Roland auch. Angefangen hat er damit auf seinem eigenen Bein.

Angefangen hat’s mit David: Neben dem saß Roland in der Schule. David konnte gut zeichnen und das wollte Roland auch können. Also griff er sich mit 12 Jahren Stift und Papier und legte los. “Wie ein Besessener habe ich geübt”, sagt Roland. Von angeborenem Können und vorbestimmter Gabe will der Künstler nichts wissen: “Wenn irgendjemand von Talent spricht, finde ich das ziemlich frech. Letztlich muss man das Zeichnen sehr intensiv lernen, ich kenne niemanden, der das einfach nur kann.” Seine Jugend hat Roland in die Streetart geschwemmt, sein intensiv erlerntes Können hat er mitgebracht. “Ich bin in der Hip Hop-Kultur sozialisiert worden. Irgendwas macht man da halt. Rappen, Breakdancen, Auflegen oder eben Sprühen.” Das war am Bodensee. Von da ging es direkt nach Berlin. Durch Zufall: Ein Freund hatte zwei Zivildienststellen klar gemacht.

Linda gab es nur in Rolands Kopf. Und auf den Straßem von Berlin.

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Roland zeichnet was ihm gerade so in den Kopf kommt. Das kann alles sein. Dinge, die Augen haben, findet er schon mal ganz gut.

Und dann kam Linda. Sie hat Rolands Laufbahn mitbestimmt. Dabei gab es Linda nur in Rolands Kopf. Und auf den Straßen von Berlin: Als Anlehnung an seine Heimatstadt Lindau, hatte sich Roland Anfang der 0er Jahre das weibliche Alias zugelegt. “In Berlin kannte mich noch niemand, das war eine Chance mir eine neue Graffitti-Identität zuzulegen”, erzählt Roland, “Mit einem weiblichen Synonym wollte ich die sehr Männer dominierte Szene ein bisschen aufmischen.” Irgendwie haben sich die nächtlichen Sprühaktionen dann verselbstständigt: Aus den gesprühten Figuren, Tags und Satzbausteinen rund um die fiktive Linda, haben die Rezipienten eine eigene Geschichte gesponnen.

“Ich hatte eigentlich nur Sätze wie ‘alles für dich Linda’ getaggt und alles andere haben die Leute rein gelesen. So wurde mir eine Geschichte quasi vorgeschlagen. Das habe ich ergriffen und daraus eine richtige Kampagne gemacht.” Siebdrucksticker, Schablonenmuster, Scherenschnitte, Kreidezeichnungen und immer wieder der Name Linda – die fiktive Suche nach einer imaginären Exfreundin zog weite Kreise. Andere Streetartkünstler reagierten mit künstlerischen Antworten, Passanten mit hin gekritzelter Anteilnahme. Eine bizarre Form der kreativen Kommunikation, die im Wechselspiel zwischen Roland und dem Fotografen Andreas Göx mündete. Der hatte die Geschichte unabhängig von Roland fotografisch dokumentiert, und wurde bald selbst zum Inhalt eines der Bilder. 2011 landeten die Bilder von Göx und die Geschichte von Lindas Ex im Berliner Museum für Kommunikation. Danach war es zwischen Roland und Linda endgültig vorbei. Das Projekt war Geschichte.

Irgendwo zwischen der Friedrichshainer Streetart und freien Illustrationsaufträgen.

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Mal an einem fremden Bein dran: Erst hat Roland auf seinem Oberschenkel angefangen, jetzt tätowiert er zwei, drei Kunden im Monat.

Nach der ausgedachten Linda kam dann ein ziemlich echter Mensch: Der Maler Dieter Hacker. Dem war Roland auf seiner akademischen Laufbahn begenget. Die gab es irgendwo zwischen der Friedrichshainer Streetart und freien Illustrationsaufträgen nämlich auch. In der Klasse Hacker studierte Roland anfangs Kunst und Geschichte auf Lehramt an der Universität der Künste. Mit mäßigem Interesse. Einzig Hackers humoristische Ader und seine direkte Art waren für Roland inspirierend. “Hacker hat mir mit einem Augenzwinkern vorgeworfen, dass ich ein Scharlatan bin”, erzählt Roland, “Anstatt selbst zu malen, habe ich damals eher Maschinen entwickelt, die das für mich machen”. Mit Hackers Abschied aus der UdK ging auch Roland – erst als Wechsel in die Visuelle Kommunikation und nach der Grundlehre ganz. Er hatte damals schon ausreichend freie Aufträge.

Die erledigt er heute zusammen mit Alexander Gellner als Agentur bitteschön.tv. Die beiden zeichnen, illustrieren, machen Grafiken und allerhand Zeug, das allerhand Auftraggeber gut gebrauchen können. “Ich habe mich irgendwann darauf spezialisiert, einen guten Service zu verkaufen. Das macht mir tatsächlich auch Spaß. Ich verkaufe aber gelegentlich auch Bilder”, sagt Roland. Die entstehen bei ihm zuhause. “Eigentlich habe ich jeden Abend Lust zu zeichnen, aber ich verzichte auch gerne mal darauf. Ich will nicht, dass es zu einem Druck wird”, sagt er.

“Schweinehäute sind für Leute, die nicht zeichnen können.”

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So kann das aussehen, wenn man von Roland gestochen wurde: Der Vogel hat die Qualle fest im Griff. Warum? Das weiss nur Roland.

Ohnehin darf man von Roland keine epischen Erzählungen zu seinen Werken erwarten. Aufs Papier bringt er ganz spontan, was in seinem Kopf gerade so los ist. “Wenn ich das jetzt beschreiben soll, dann ist das wahrscheinlich irgendwo auf der Schnittstelle von dem was David Lynch als Filme macht, in sich verschachtelten Gedichten und fünfstimmigen Fugen”, sagt er, “So würde ich es zumindest ausdrücken, wenn ich das als große Kunst aufblasen wollen würde. In Wirklichkeit will ich, dass mir bei einem meiner Bilder das Kichern im Halse stecken bleibt.” An den Mythos des leidenden Künstlers, der nur im kreativen Schaffen leben kann, glaubt Roland nicht. “Ich habe gar nicht so viel zu sagen und glaube auch nicht unbedingt, dass die Welt mich hören muss”, sagt er. Das Alles muss viel natürlicher kommen – so wie Roland zum Tätowieren gekommen ist.

Damit hat er aus reinem Eigennutz begonnen: “Ich wollte mich einfach selbst tätowieren können. Es ist nicht so, dass ich es so toll finde, wenn Leute von mir etwas für immer auf ihrer Haut haben oder so.” Also hat er sich eine Maschine gekauft und auf seinem Oberschenkel angefangen: Eine recht schiefe Windrose war das Erstlingswerk als Selbsttätowierer. Vom gängigen Ausprobieren an Tierhäuten hält Roland nicht so viel: “Schweinehäute sind für Leute, die nicht zeichnen können. Der eigene Oberschenkel ist der beste Lehrmeister.” Vom eigenen Bein hat es seine Tinte längst unter die Häute Anderer geschafft. Mittlerweile tätowiert er neben seinem Agenturalltag zwei, drei Kunden im Monat. Genau wie bei seinen freien Zeichnungen kommen die Ideen spontan und ziehen keine klaren Referenzen zu kulturellen Kontexten. Viele Tiermotive sind darunter, tätowiert wird bei Roland ausschließlich in schwarz. Auf seinem TATATAT-Bogen hat sich aber auch ein wenig Gold untergemogelt: Eine Katze mit gülden funkelnden Augen etwa, oder das goldene Geweih eines Hirsches. “Die Motive auf meinem Bogen haben nicht wirklich einen roten Faden, aber sie sind sehr repräsentativ für das, was ich generell gerne mache.”

 

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